Man erkennt sie auf den ersten Blick, wie Pilze wachsen sie im Speckgürtel der Stadt oder am Dorfrand aus dem Boden: Neubaugebiete. Es ist ja schön, wenn so
viele Familien die "eignen vier Wände" verwirklichen und die (Bau)Wirtschaft ankurbeln, aber bitte nicht so.
Ich bin nun wahrlich kein Freund von langweiligem Einheitsbrei oder erzwungener Einheitlichkeit, nicht alles muss wie in einer Kaserne in Reih und Glied stehen. Aber wer sich heute die Neubaugebiete anschaut, der wird erschlagen von einem Mix aus Bauformen, Materialien und Farben. Von verschiedenfarbigen Putzen über nennen wir es mal "mutige" Farbvarianten bis hin zum rauen Klinkerlook ist alles dabei, was die Satteldachhäuser (mit oder ohne Gauben), Bungalows, Stadtvillen oder "toskanische Träume" kleidet. Wie hat es mein Freund so treffend auf den Punkt gebracht bei unserem letzten Spaziergang: "Weißt du was, das sieht hier genauso aus wie in dem Musterhauspark wo wir letztens gewesen sind." Und er hat Recht! Mit dem klitzekleinen Unterschied, dass hier noch Garagen und Carports für die Autos dazu gehören und man im Garten Klettergerüste und Schaukeln für den Nachwuchs statt Schilder mit Angaben zu Wohnfläche & Co. findet. Vielleicht können die Haushersteller bald auf eigene Musterparks verzichten und dafür einfach auf Neubaugebiete in der Nähe der Interessenten verweisen? Natürlich vozugsweise dort, wo auch viele aus dem eigenen Portfolio stehen ...
Die Bauhaus-Kopien
Und ach ja, das Modell "Bauhauskubus" darf natürlich keinesfalls fehlen. Wobei diese Würfel mit dem "richtigen Bauhausttil" oftmals gar nicht viel gemein haben. Ich weiß das zufällig, denn ich habe Architektur studiert! Der als Mitbegründer geltende Archichtekt Ludwig Mies van der Rohe würde sich wohl im Grabe umdrehen, wenn er diese schlecht gemachten Analogien sehen würde. Nur kurz zur Erläuterung, der Bauhausstil ist die Verkörperung des Schlichten. Der Leitsatz war hier "form follows function"- also das Gegenteil von den schmückenden und verspielten Formen des Barock oder Rokoko. Von einem großen Fensterchen hier, einem kleinen Fensterchen da oder gar einem Fassafenmix mit Putz und Klinker wie er an den neuen Häusern dieser Art zu finden ist, ist da gewiss nicht die Rede.
Solche Häuser werden vorzugsweise von Leuten gebaut, die sich besonders hipp fühlen und für die ihr Haus eher eine Art Kulisse ist. Mit gemütlich wohnen und sich wohl fühlen hat das meines Erachtens wenig zu tun. Ich persönlich finde es sogar sehr unangenehm eine Wohnung oder ein Haus zu betreten, das wirkt wie ein Stilleben und darin schon allein durch seine eigene Präsenz ein Störenfried ist. Herumliegende Alttagsgegenstände sucht man hier vergebens. Und so verwundert es mich nicht, dass die Haushersteller diese "Kisten" zwar im Portfolio haben, sie aber selten gewünscht sind. "Wir müssen diese Dinger anbieten. Das sind Trends, mit denen man mit gehen muss. Aber gebaut haben wir davon noch keines", hat mir mal ein Haushersteller verraten. Aha?! Ein Glück, mehrere von diesen kopierten "Stilikonen" in einem Neubaugebiet nebeneinander und man könnte sich in die Plattensiedlungen des Ostens versetzt fühlen.
Klein, kleiner ...
Ich weiß nicht, ob das speziell bei mir nun eine Berufkskrankheit ist, aber wer sich ein bisschen auf dem Gebiet auskennt, erkennt sehr schnell von welchem Haushersteller das Objekt vor einem stammt. Am markantesten stechen dabei immer noch die Huf-Häuser mit ihrer Fachwerk-Glas-Optik hervor. Die sehen natürlich schick aus, haben für mich aber in diesen typischen Neubaugebieten nichts verloren - auf großen freien (See)grundstücken dafür umso mehr. Nicht weil sie den Nachbarhäusern so oder so die Show stehlen, sondern weil die Grundstücke einfach viel zu klein sind!
Die kleinen Grundstücke haben wohl einerseits mit der Gewinnmaximierung zu tun. Mehr Grundstücke = mehr Gewinn, mehr Bewohner =
mehr Steuern ... Andererseits hat sich auch der Lebenswandel geändert. Heute braucht man eben keinen Platz mehr für einen Garten, der früher Standard war, sondern kauft seine Lebensmittel
durchweg im Laden. Wie sollen die beiden überstundenschiebenden Vollverdiener auch noch einen Gemüse- oder Obstgarten bewirtschaften, wenn sie abends erschöpft von der Arbeit kommen, um den
drückenden Kredit für den "Traum der eigenen vier Wände" langsam abzutragen? Eben jener Kreditspielraum ist eh schon knapp bemessen und jeder Quadratmeter bedeutet mehr Geld. Also spart man sich
lieber den teuren Platz, freut sich über das angebotene kleinste Grundstückseckchen - und nimmt dafür dann eben in Kauf, dass man sehen und eventuell sogar riechen kann, was bei den
Nachbarn auf den Tisch kommt.
Sichtbare Individualität?
Um flächenmäßig und optisch also immerhin das beste aus seinem Grundstück heraus zu holen, wird von den Hausherstellern immerhin ein breites Optionsangebot geliefert. Außerdem, selbst wenn man "von der Stange baut", muss das ja nach außen lange nicht offensichtlich sein, man baut ja schließlich ein Eigenheim(!) und da sollte, nein muss!, die persönliche Handschrift und der eigene Stil schon erkennbar sein. Ein Erker hier, ein Carport da - und schon sieht es (vermeintlich) nicht mehr so aus wie das Standardding, das vorne auf dem Katalog prangt. Scheußlich!
Versteht mich nicht falsch, ich finde es ja toll, dass es Auswahl gibt und die Haushersteller versuchen, auf die Wünsche der
Bauherren bestmöglich einzugehen (und damit für ihre Seite möglichst viele Kunden zu gewinnen). Aber kann man diese Auswüchse nicht etwas begrenzen? Wie hat es mein Prof im Architekturstudium
einmal auf den Punkt gebracht: "Es gibt nichts schlimmeres, als wenn man sich Mühe gibt und einem Auftraggeber unter Berücksichtigung seiner Wünsche ein Haus plant und baut, das ein stimmiges
Konzept ist - und dann kommt man nach dem Einzug daran vorbei und sieht, wie er an seinen Eingang ein Plastikvordach von OBI angebracht hat. Das ist wie ein roter Flanellflicken auf einem
blauseidenen Abendkleid von Versace."
Früher gab es in den Bebauungsplänen Vorgaben zu Bauhöhe, Bauform, Farbe der Wände und Dächer, etc.Wo sind die hin? Macht sich bei
der Neuerschließung niemand mehr die Mühe darüber nachzudenken, wie unruhig und unharmonisch diese neuen Stadtteile später wirken? Sicher, das ist eine Aufgabe für die man viel
Fingerspitzengefühl und Voraussicht braucht, die allein schon bei der Festlegung der Etagenzahl beginnt. Der Bungalow und andere ebenerdige, barrierefreie Wohnformen sind im Hinblick auf unsere
älter werdende Gesellschaft ein Muss neben dem klassischen Familienhausmodell "unten wohnen, oben schlafen". Aber an dieser frühen Stelle der Entscheidungen jemanden hinzusetzen, der die Sache
hin die Hand nimmt, würde sich wirklich lohnen! Wozu gibt es denn die Studienrichtung "Stadtplaner"?
Ein kleiner Vorschlag
Für die Zukunft würde ich mir einfach wünschen, dass dieser chaotische und hässliche Wildwuchs der Neubaugebiete in harmonische Bahnen gelenkt wird, statt dass jeder sein Ding macht. In dem Punkt sind die derzeitigen Neubaugebiete ein Spiegel der Gesellschaft, jeder will besser sein, hübscher sein, schottet sich ab um eifersüchtig seine vermeintlichen Erfolgsgeheimnisse zu hüten - und ist am Ende allein und gefangen in dem, was er sich geschaffen hat. Will man das wirklich? Dabei geht es doch anders! Es gibt so tolle Konzepte, in denen die Bauformen einander zugerichtet statt voneinander abgewandt sind und durch den fließenden Übergang von privaten und öffentlichen Bereichen nicht nur enormer Nutzraum geschaffen wird, den man alleine nie verwirklichen könnte - außer man ist ein Superstar und hat das nötige Kleingeld - sondern auch menschliche Gemeinschaften. Statt neidvoll auf den Teller des Nachbarn zu blicken, wird hier gemeinsam gegrillt. Die bauliche Harmonie kommt dann von ganz alleine ...