Was hier scheinbar nach Provence anmutet ist weit gefehlt. Das Gebirge ist der Kaukasus, die Terrasse mit dem herrlichen Ausblick gehört zum Château des Weingut Schuchmann in Georgien und der goldene Weißwein im Glas ist ein ein 2006er Kisi.
Georgien. Fragende Blicke und ungläubiges Staunen in den Gesichtern machen ziemlich deutlich, dass manch einer nicht zu wissen scheint, wo genau dieses Fleckchen Erde eigentlich ist. Das mag unter anderem daran liegen, dass das Land am Kaukasus politisch nicht so bedeutend ist wie sein nördlicher Nachbar Russland und trotz direktem Zugang zum schwarzen Meer auch nicht als Touristenmagnet fungiert, wie die südlich angrenzende Türkei. Im Hinblick auf sein zweitgrößtes Exportgut und dessen Jahrhunderte alte Tradition im Anbau ist diese scheinbare Unbekanntheit allerdings kaum zu glauben, denn Georgien gilt sogar als „Die Wiege des Weins“! Glaubt man der griechischen Sage „Jason und die Argonauten“ wäre sogar ein zurückreichendes Zeitfenster bis ins 8. Jahrhundert v. Chr. möglich. Anhand von Ausgrabungen von Traubenkernen, Werkzeugen und Gefäßen lassen sich derweil über 4.000 Jahre der Weinkultivierung sicher belegen. Zu diesem Zeitpunkt steckten die Europäer bei der Weinherstellung noch in den Kinderschuhen, wenn überhaupt…
Das Weingut Schuchmann hat einen Weg gefunden, dieses große Erbe Georgiens mit der modernen Welt zu verknüpfen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist eben jener 2006er Kisi, der 2009 die Goldmedaille auf der WinExpo Georgia gewann und damit nicht nur zum besten Weißwein Georgiens ausgezeichnet wurde, sondern auch international Anerkennung findet. Riecht man zu Anfang am Glas, fällt sofort der Duft nach Orangenschalen auf und schon nach dem ersten Schluck entfalten sich Aromen von reifem Pfirsich und Datteln auf der Zunge. „Wenn Sie den Wein jetzt eine Weile beiseite stellen, wird er nicht fade, sondern fängt an intensive Bratapfelaromen zu entwickeln“ erläutert Angeles Tegtmeyer. Die Managerin des Weingutes pendelt etwa im Zweiwochentakt zwischen Hamburg und Georgien. Nach dem anstrengenden Nachtflug ist die Deutsche mit spanischen Wurzeln bereits wieder munter, hat für jeden ein freundliches Wort, erteilt Anweisungen und führt am Nachmittag durch die Degustation. Währenddessen genügt ein kurzer Blick durch die in den Natursteinboden der Terrasse eingelassenen Glasscheiben, um neben den exzellenten Eigenschaften die wahre Besonderheit dieses Weins zu sehen: Die Herstellung in Qvevris.
Die Herstellung in Qvevris
Qvevris, oder auch Kwewri, sind in die Erde eingelassene Tonamphoren. Somit ist es in diesen Teilen des Weinkellers zwar kühl und riecht typisch, nach einem Gemisch aus gärendem Wein und Modrigkeit, doch Fässer oder Tanks sucht man vergebens. Bis auf den langen gemauerten Steinbottich an der Rückwand, in dem Besucher während der Erntezeit mit den Füßen Trauben stampfen können, ist der Raum leer. Auffällig sind jedoch die mit Tonziegeln ummauerten Löcher im Boden, wovon einige mit großen Steinen und Sand bedeckt scheinen. „Genauer gesagt handelt es sich dabei um Ton- und Asche, sowie Schiefersteine“ sagt Roland Burdiashvili, der Assistant Winemaker und die rechte Hand von Kellermeister Giorgi „Gogi“ Dakishvili. Der gebürtige Georgier ist mitte Zwanzig und hat sein Handwerk nicht nur an der Universität in Tiflis, sondern auch in Heilbronn gelernt, weshalb er nebenbei auch in fließendem Deutsch mit charmant georgischem Akzent Besucher durch das Weingut führt.
Während er bei der nächstgelegenen offenen Tonamphore mit einer Geste das Traubeneinfüllen nachahmt, erklärt er die überlieferte Methode der georgischen Weinerzeugung. „Durch diese Öffnung werden die Trauben von oben eingefüllt und die Maische unter dem Schutz eines Holzdeckels vergoren. Danach unterscheiden sich die weiteren Schritte, je nachdem, ob wir Rot- oder Weißwein machen wollen und natürlich anhand der Trauben die rein gekommen sind. Bei der Rotweinerzeugung wird der Wein nach der Gärung im Qvevri zur Reifung in Holzfässern gelagert oder völlig ohne den Einfluss von Holz in die Flasche abgefüllt. Bei der Weißweinerzeugung wird das Qvevri mit der Steinvariante erneut versiegelt. Diese Abdichtung verhindert den Sauerstoffaustausch für die weitere Reife- und Maischestandszeit von bis zu sechs Monaten. Wenn man das Qvevri dann öffnet hört man ein „plopp“. Das hoffentlich gelungene Ergebnis ist ein reines Naturprodukt, der Wein ist klar und kann sofort getrunken werden.“
Mit "hoffentlich gelungen" meint er, dass man im Gegensatz zu Fässern oder Tanks die Qualität des Weines zwischenzeitlich nicht testen kann. Ist also während des Prozesses Sauerstoff in das Qvevri gelangt, ist der gesamte Wein einer 500 – 3.300 Liter fassenden Amphore verdorben. „Aber das passiert sehr selten, denn Gogi ist bereits die 4. Generation in seiner Familie, die alle Weinbauern waren“ und mit einem Augenzwinkern setzt Roland noch hinzu, „der versteht sich schon darauf.“ Daraufhin zeigt er auf die Holzgeräte, die an der rustikalen Steinwand lehnen: Eine Schöpfkelle, sowie mehrere Stiele an deren Ende ein rundlicher faustgroßer Gnubbel steckt. „Mit der großen Kelle schöpfen wir vorsichtig den fertigen Wein aus den Qvevris ab, während sich die Maischereste unten in der Spitze der Amphore gesammelt haben. Die Dinger daneben dienen zum Saubermachen. Das was am Ende der Stiele steckt sind aufeinander gepresste Lagen aus Zedernholz. Vor und nach jeder Lese steigt ein Mitarbeiter in die Qvevris und reinigt diese damit“.
Traditionelle und moderne Methoden
Das Weingut arbeitet jedoch nicht nur nach der traditionell georgischen Methode, sondern auch nach dem europäischen Herstellungsverfahren, sowie einer Kombination aus Beidem. So riecht der Keller nebenan nicht nur so, er sieht auch aus wie ein „klassischer Weinkeller“. Unter gemauerten Ziegelbögen liegen fein säuberlich aufgereiht und an den Wänden teilweise aufgestapelt mehrere hundert Holzfässer. Es sind Barriques aus französischer Eiche und Akazie, die beispielsweise dem Rotwein Saperavi seine rauchige Würze verleihen.
Einen Raum weiter wird es dann baulich und herstellungstechnisch hochmodern. Dort stehen, von nacktem Beton umgeben und mindestens über zwei Geschosse hoch, große schlanke Edelstahltanks. „Wir machen die 10.000-15.000 Liter fassenden Tanks möglichst voll, um unnötig Sauerstoff zu vermeiden“ sagt Roland. „Für bestimmte Weine, wie den Kindzmarauli, der zwar ebenfalls aus der Saperavi-Traube besteht, bei dem die Vergärung jedoch durch Herunterkühlen gestoppt wird, haben wir auch variable Tanks, bei denen die Größe durch die Verschiebung des Deckels angepasst werden kann.“ Ein georgischer Mitarbeiter, der gerade voller Elan mit einem gelben Wasserschlauch den Boden abspritzt, unterstreicht ohne Worte, dass nicht nur ständig auf die für den Wein optimal kühle Temperatur geachtet wird, sondern auch auf Sauberkeit.
Traubenanbau und Lese
Doch für Wein braucht es natürlich nicht nur ausgeklügelte Herstellungsverfahren, sondern auch Trauben. Unterhalb der Terrasse des Château in Kisiskhevi wachsen jedoch nur knapp zehn Rebenreihen. Es sind noch Jungpflanzen der einheimischen Sorte Kisi, die aber durch das Klima begünstigt schon jetzt Anfang Juni die ersten Traubenansätze zeigen. Allerdings ergibt diese Anpflanzung natürlich viel zu wenig Ertrag für ein Weingut mit diesen Fassungsvermögen in Amphoren, Fässern und Tanks. Es handelt sich auch lediglich um die so genannte „Spielwiese“ zum Testen des Geschmacks und der Wuchseigenschaften auf diesem Boden. Auch sehr zur Freude der Besucher, die während der Reife ebenfalls durch die Reihen schlendern können und dabei die ein oder andere Traube zum Naschen abpflücken. Die richtigen Weinfelder liegen mit 51 Hektar in Napareuli und mit 15 Hektar in Shilda. Ebenso wie das Weingut gehören diese Flächen zur für den Weinbau bekannten Region Kachetien.
Der Weg dorthin führt vorbei an vielen verfallenen Häusern und über Straßen, die holprig und nur teilweise asphaltiert sind. Es ist nicht nur heiß, sondern auch sehr staubig. „Die Frauen sind gerade weg“ sagt Roland bei der Ankunft in Napareuli. „Jetzt um die Mittagszeit ist es viel zu heiß zum Arbeiten. Dafür fangen sie morgens um 5 Uhr an und arbeiten mit kleinen Pausen etwa acht Stunden durch.“ Statt Maschinen einzusetzen wird ausnahmslos mit Hand gearbeitet. Im Klartext heißt das: Jede Rebe einzeln hochbinden, beschneiden und die Trauben abpflücken, sowie das darunter wachsende Grün mit der Sense abmähen. Während Männer die Bodenarbeit übernehmen, kümmern sich um die Pflanzen ausschließlich Frauen. Bewundernswert, dass dort niemand die Arbeitsmoral verliert, wenn man endlos lang nur Rebenreihen und kein Ende sieht.
Außerdem wird strikt auf Qualität statt Masse gesetzt, indem nicht nur die Rebenreihen und die Abstände untereinander größer angelegt sind, sondern jede einzelne Traube im noch kleinen grünen Stadium um etwa 30 Prozent reduziert wird. Demonstrativ greift Roland in den nächsten Rebstock und zwickt den Teil der Minitraube in seiner Hand ab, der noch weg geschnitten werden soll. „Zu Anfang war es ein sehr großes Problem, das den Arbeitern, die vorher immer viel Ertrag erzielen sollten, zu vermitteln. Sie konnten einfach nicht verstehen, warum sie einen Teil der Traube abschneiden sollten und haben sich regelrecht geweigert“ sagt er schmunzelnd. "Doch dadurch sind später alle Beeren gleich groß und haben denselben Zucker- und Säuregehalt. Schon nach der ersten Ernte hatte keiner mehr Zweifel.“ Später bei der Lese werden die Trauben außerdem nicht wie sonst üblich in großen Kiepen geerntet und dann einfach auf große Wagen gekippt, sondern in kleine, stapelbare Boxen gelegt. Diese durchlaufen dann bereits auf den Feldern eine Vorsortierung, damit die Trauben ohne Beschädigung auf dem Weingut ankommen und keine Vorgärung stattfindet.
Bei den Weinfeldern in Shilda herrscht dasselbe natürliche Bild. Dass der Verzicht auf chemische Mittel nicht nur gepriesen, sondern auch praktiziert wird, beweist eine Eidechse, die sich auf einem knorrigen Rebstock sonnt - denn auf gedüngten und chemisch bearbeiteten Feldern gibt es keine Tiere. Ein leises Rascheln schreckt sie auf und sie verschwindet zwischen ein paar lila Mimosen, die den Boden auf ganz natürliche Weise mit dem notwendigen Stickstoff bereichern. Auffällig ist, dass die Rebenreihen hier nicht parallel zum Gebirge verlaufen, sondern senkrecht dazu. „Sehr gut aufgefallen“ sagt Roland. „Zwar sind wir nicht weit weg von Napareuli, aber der Wind weht hier durch eine leicht veränderte geografische Lage bereits anders. Wir legen die Rebenreihen immer so an, dass der Wind hindurch wehen kann. So werden die Pflanzen nämlich gegen die teils sengende Sonne abgekühlt, vor Allem in der Nacht.“
Tradition im Glas
Zurück auf dem Weingut wird nach mehrmaligem Hupen aus dem Auto das Tor geöffnet und danach sofort wieder vom Sicherheitspersonal geschlossen. „Obwohl wir hier hauptsächlich Georgier beschäftigen und sich das Weingut damit positiv auf die Region auswirkt, haben wir hier nicht nur Freunde“ sagt Roland mit ernster Miene, ohne weiter darauf einzugehen. Nach den staubigen Straßen und den ärmlichen Häusern ringsum empfängt einen das Areal des Château wie eine strahlende, mediterrane Oase. Dass es trotzdem nicht fehl am Platz wirkt, ist zurückzuführen auf den behutsamen Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz des erworbenen, alten Weingutes und der umliegenden Fläche. Schon bei der Planung der Modernisierung wurde viel Wert auf georgische Authentizität gelegt. War es unumgänglich Stahl oder Beton zu verwenden, sind diese von regionalen Materialien wie gemauerten roten Ziegeln oder mit Lehm verputzten hellen Steinen verdeckt. „Diese Anlehnung an die hier typische, ostgeorgische Bauweise ging sogar so weit, dass wir Abrissbaustellen in ganz Georgien abgeklappert haben, um die traditionell gebrannten, halbrunden Tonziegel für das Dach aufzutreiben“ erzählt Angeles Tegtmeyer später lachend bei der Degustation.
Die Erinnerung, wie das Weingut einmal ausgesehen hat, lebt wiederum mit den Weinen aus den Qvevris weiter. Diese haben mit „Vinoterra“ eine eigene Linie, deren Etikett ein Bild des alten Weingutes ziert - und so schließt sich der Kreis. Das Château und die daraus resultierende Gaumenfreude im Weinglas sind letzten Endes jedoch dem Zufall und einem Deutschen zu verdanken. Burckhardt Schuchmann reiste erstmals in seiner Funktion als Industriemanager für Eisenbahnen nach Georgien. Das Land und die Qvevri-Weine begeisterten ihn nicht nur sofort, sondern weckten eine Vision bei dem langjährigen Weinliebhaber: Europäische Standards und die damit verbundene Qualitätssicherung, gepaart mit den qualitativ hochwertigen Rebsorten Georgiens, müssten einen grandiosen Wein ergeben. Die Verwirklichung dieser Vision, die durch ein ebenso begeistertes Team möglich wurde, schmeckt man nun in jedem Schluck eines Mtsvane, Rkatsiteli, Saperavi, oder Kisi. Und wer weiß, vielleicht wird Georgien dadurch bald nicht mehr das „unbekannte Land“ sein…
Vielen Dank an Roland Burdiashvili und Angeles Tegtmeyer für die ausführlichen Erläuterungen und den traumhaften Besuch auf dem Weingut Schuchmann in Georgien! www.schuchmann-wines.com